Das Gute im Menschen
“Du kannst draußen am Eingang noch eine Zeitung kaufen.“ sage ich zu meiner Tochter an der Spar-Kassa und drücke ihr 5 Euro in die Hand. Beim Marie-Verkäufer angekommen, schwatzen wir. Über das Wetter. Zuerst in Deutsch, dann ein wenig in Englisch. Ich mag diesen kleinen Small Talk. Ich mag fremde Menschen. Und ich mag die bunte Welt, in der wir leben.
Ein Erlebnis der anderen Art
Letztens war ich bei meinem Autohändler des Vertrauens. Reifen wechseln. Während ich mit meinen Kindern warte, kommt eine Dame, setzt sich und nimmt ihr Strickzeug raus. Ihr Mann mag nicht sitzen und trippelt vor mir rum. Wir beginnen ein bisschen zu plaudern – über die Kinder, über das Wetter, über die Sommerreifen. Plötzlich hören wir, wie im hinteren Teil des Autohauses ein Auto gestartet wird. Anscheinend gibt es neu Poliertes, dass hinterm Schaufenster Platz nehmen darf. Mein Bubi schon ganz aufgeregt und der nette Mann sagt zu ihm: „Sollen wir schauen gehen.“ Klar, ist er gleich mit.
Während ich ihnen zuschaue, wie sie rüber spazieren, um die Lage zu sondieren, beginnt die Frau zu schimpfen. Mit mir. Wie ich mein Kind erzogen habe, dass es einfach so mit einem fremden Mann mitgeht. Das sei ja unerhört. Ihre Enkelkinder würden sowas niemals machen. Gefährlich sei das. Sie sei froh, dass ihre Enkel mit niemandem reden, den sie nicht kennen. Ich war perplex. Da saß sie strickend neben mir und unterstellte ihrem Mann, dass er fremde Kinder entführt und mir, dass ich meine Kinder falsch erziehe.
Ich stammele, dass ich stolz auf meine Kinder bin, weil sie so offen sind. Weil sie freundlich sind. Weil sie mutig sind. Entschuldigend murmele ich noch, dass sie ja noch klein und nicht alleine unterwegs sind. Eine halbe Stunde später brause ich mit meinen neuen Reifen vom Hof der Werkstatt und war immer noch wie gelähmt von der Skepsis der Frau. Ihrem Mann gegenüber. Fremden gegenüber. Kindern gegenüber.
Angst ist kein guter Begleiter
Elsa, die Eiskönigin sagt das und löst den Kampf gegen ihre Zauberkraft mit Liebe. Wir sind gerne und viel unterwegs. Wir mögen Menschen. Aber nicht alle. Nur die mit Herz. Dann ist uns Alter, Haarfarbe oder auch die Anzahl der Zehen ganz egal. Ich erziehe meine Kinder, dass sie mit allen Menschen reden – egal ob es der Marie-Verkäufer ist oder der wartende Opa. Sie sollen freundlich sein. Offen und wertfrei Menschen begegnen dürfen. Das lebe ich vor. Und es hilft mir.
Und du weißt, als Alleinerziehende gibt es immer wieder knifflige Situationen. Wenn zum Beispiel das eine Kind gerade oben auf dem Klettergerüst den nächsten Tritt sucht, während das andere direkt auf das Schwimmbadbecken zusteuert. Oder wenn der Kleine im Restaurant endlich auf dem Arm eingeschlafen ist und ich merke, wie dringend ich auf’s Klo muss. Oder wenn du mit einem Kind an der Hand und einem im Kinderwagen in den Bus einsteigst und das Rad des Kinderwagens sich verklemmt.
Immer wieder bin ich auf die Hilfe Fremder angewiesen. Denn ich habe keine vier Arme. Aber ich habe gelernt, mir zwei andere Arme zu suchen. Arme, die mir helfen. Das sind dann Mamas am Beckenrand, die deuten, dass sie den Ausreißer im Auge behalten. Das ist eine Oma, die meinen Bubi an ihren Busen drückt, damit er weiterschlafen kann, bis ich wieder vom Klo komme. Oder es ist ein junger Vater, der mir an der Bustür den Kinderwagen abnimmt.
Menschen helfen gerne
Man muss sie nur fragen. Das ist meine Erfahrung. Sie sind sogar dankbar, einem anderen Gutes zu tun. Das füllt das eigene Karma-Konto. Und die daraus entstehenden Gespräche, netten Worte oder auch nur kleinen Gesten sind echte zwischenmenschliche Boten. Sie bereichern den eigenen Horizont. Und diese Grundeinstellung spüren meine Kinder. Sie lernen freundlich zu sein. Sie lernen anderen zu helfen. Sie lernen die Vielfalt kennen. Und das geht nur, wenn man mit Fremden spricht.
Ich glaube an das Gute im Menschen
Und ich weiß, du auch. Also, frag um Hilfe. Das ist keine Schwäche. Das ist Bereicherung. Beim nächsten Einkauf will meine Tochter unserem neuen Freund, dem Marie-Verkäufer, in englisch die Zahlen aufsagen. Das hat sie extra für ihn geübt. Und wenn mir wieder mal eine schimpfende Strickliesel begegnet, dann sage ich laut und deutlich: „Gottseidank mag mein Kind Menschen. Sonst wäre es sehr einsam.“
Weil wir Mamas alles schaffen.
Deine Sandra