Einer dieser Tage
Und gestern hatte ich noch alles im Griff. Das sagte mir zumindest mein Wohlfühl-Barometer: Meine Wohnung war sauber und aufgeräumt. Ich weiß, ich bin verrückt, das Gefühl der Kontrolle an der Sauberkeit der Wohnung zu messen. Aber gestern hat es noch gestimmt. Gestern hatte ich das Gefühl, es läuft. Und heute?
Gestern war gestern
Heute sieht die Welt ganz anders aus. Es läuft mehr rückwärts und bergab und ich habe das Gefühl, nichts, aber auch gar nichts geschafft zu haben. Mal nichts Produktives. Auch wenn ich mich inzwischen so mag. So gar nicht perfekt. Ich bin ein Vergissmeinnicht. Ich vergesse ständig irgendwas, irgendwo oder irgendwen.
Naja. Jedenfalls drückt mir heute morgen die Kindergarten Pädagogin einen Zettel zum Ausfüllen in die Hand. „Bitte retour bis Donnerstag. Das ist DEINE Deadline. Offiziell bis Freitag.“ Sie zwinkert mir zu. Ich lache los. Sie kennt die blauen Blumen in meinem Kopf inzwischen. Ihr Humor tut mir gut. Der nimmt mir das Ich-muss-perfekt-sein Gefühl.
Wie gesagt, manche Tage beginnen gut. Da denkst du, du kriegst das hin. Nicht alles, aber fast alles. Da machst du eine Todo-Liste und arbeitest sie sauber ab. Setzt Haken für Haken. Und wenn dann zwei Punkte offen bleiben, denkst du dir, das geht morgen. Heute lief es ja wunderbar.
Heute ist heute
Und dann sind die Tage, an denen alles zusammen kommt. Genau an diesem einen Tag. Es muss der Tag sein, an dem der Mond schief steht. Einer muss ja schuld sein. Denn es kommt alles gleichzeitig: Der Handwerker-kommt-endlich-und-zwar-jetzt-sofort Anruf, mit dem diesen-Monat-läuft-das-Autopickerl-ab Moment und dem Hackerangriff-detected-auf-ihrer-Website Mail. Sie rotten sich zusammen: Die
Zeitdiebe, die Feuerwehreinsätze, die Weltretter-Aktionen.
Ich arbeite den Vormittag. Dann hole ich meine Kinder vom Kindergarten ab. Koche uns Mittagessen. Lasse den Handwerker rein. Rufe den Autohändler an. Mach den Abwasch und räum den Spüler ein. Füll im Vorbeigehen noch die Waschmaschine.
Und dann sind da ja noch die Kinder. Fast vergessen: Lorenz will ein Joghurt zum Nachttisch und ich habe den Deckel aufgemacht und ihn auf den Tisch gestellt. Großer Fehler: Das wollte er doch selber machen. Den Joghurt öffnen. Für ihn Grund genug sich auf den Boden zu schmeißen und zu schreien. Er hat schlecht geschlafen und ist ein echter Stinkstiefel. Ich halte aus und halte ihn. Derweil streite ich mit meiner Tochter über deren Kleiderwahl. Ich gebe nach: An zwei Fronten erziehen geht sich echt nicht aus. Als sich beide beruhigt haben, nehme ich die Miesmuschel auf den Arm und fahre den Mix aus Prinzessin Lillifee und Pippi Langstrumpf zu ihrer Freundin. Dann besorge ich Geburtstagsgeschenke für die kommenden Kinderpartys. Ich schaue bei meiner Freundin auf eine Zigarette vorbei, weil sie sich kurz auskotzen muss – sie hat auch so einen Tag. Dann löse ich noch ein Computer-Problem meiner
Mama per telefonischer Fernwartung. Achja, die kleine Maus abholen nicht vergessen.
Pause: Es ist Abendbrot-Zeit
Knäckebrot raus, für Frisches hat es heute nicht gereicht. Ersatzmilch raus, die im Kühlschrank riecht schon. Nutella drauf. Zucker beruhigt die Nerven. Bis es runterfällt. Ich sitze und überlege ob ich weinen oder lachen soll. Ich entscheide mich fürs Lächeln. „Gottseidank habe ich noch nicht gesaugt.“ Meine Kinder sind sichtlich irritiert, dass ich mich gegen das Ausflippen entschieden habe. Ich sage: „Ich glaube, Mama wird langsam verrückt.“ Das finden meine Kinder lustig. Ich auch.
Und weil es so anstrengend war, der Tag mein ich, schlafe ich beim Kinder-ins-Bettbringen ein. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das Ende der Geschichte geschafft habe. Aber egal. Sie schlafen und ich auch. Drei Stunden später wache ich wieder auf. Ich quäle mich aus dem Bett, um wenigstens die Zähne zu putzen. Autsch. Mein offener Zahnhals. Achja, da war noch was: Ich wollte einen Termin beim Zahnarzt machen.
Jetzt bin ich putz-munter.
Ich schau auf mein Handy: Meine Freundin fragt nach, wie es mir geht. Die Antwort fällt kurz aus: „Ganz normaler Wahnsinn“ und ein rollender Augen Smiley. Mein Bruder will wissen, wie ich ins neue Jahr gestartet bin. Dem schreibe ich, dass ich dieses Jahr schon zweimal aufgehört habe zu rauchen – Ausgang offen. Mein Verehrer fragt, wie mein Tag war. Aber den lass ich bis morgen warten. Meinen Tag nochmal in einer WhatsApp-Nachricht zusammen zu fassen, schaff ich nicht mehr. Tut mir leid. Armer Kerl, denke ich noch und habe ihn im gleichen Moment wieder vergessen. Ich setze mich an den Computer. Ich muss mich noch um den Hacker auf der Kunden Website kümmern. Dann check ich noch die Unterlagen für den Workshop morgen, lies die Mails durch und beantworte kurz die notwendigsten Anfragen.
Morgen wird’s besser
Es ist jetzt 2 Uhr morgens. Und endlich ist Ruhe. Ich bin froh, dass ich alleine bin. Ich mag nicht mehr reden. Mental Overload hätte ich gesagt. Kennst du das, wenn dich der Radio im Auto nervt, weil er dir zu viel quatscht. Oder wenn du überlegen musst, wann du das letzte Mal geduscht hast, weil du dazwischen dreimal die Welt gerettet hast? Oder wenn du – bei deinem Besuch angekommen – entdeckst, dass du zwei
verschiedene Schuhe an hast?
Ich werde trotz Ruhe nicht müde und schreibe noch diesen Blog-Artikel. Vielleicht hilft es, wenn ich es mir von der Seele schreibe. Da fällt mir was ein: Der Geschirrspüler hat vorhin gepiepst hat, weil er fertig ist. Achja, und da ist noch Wäsche in der Maschine. Nein. Für heute ist gut genug. Heute war es echt viel. Morgen wird es besser. Ganz sicher.
Weil wir Alleinerziehenden alles schaffen.
Deine Sandra