Mal wieder so ein typischer
„Ich habe zwar eine Lösung – aber die passt nicht zum Problem“-Tag.
Ich starte mit meinem Überlebenstraining täglich morgens um vier Uhr damit ich noch eine Stunde mit meinem Hund raus kann. Ja, ich weiß, mutig sich als Alleinerziehende einen Hund anzuschaffen und dann vielleicht mal beiläufig zu erwähnen, dass manchmal doch alles etwas viel ist. Aber auch für einen „Kopf-Menschen“ wie mich gibt es Hintergründe und Gedanken dafür, weshalb unser Hund bei uns sein soll. Und ich trau mich das nur leise zu denken: Tatsächlich haben auch anderen Frauen sich Lebewesen (Männer, Katzen, Hunde, etc.) „angeschafft“ über die sie sich hin und wieder einfach lautstark ärgerlich äußern müssen?! Und dennoch ist diese eine Stunde am Tag etwas ganz Besonderes für mich, den Rest des Tages darf er draußen auf unserem Grundstück bleiben, bis er zu seinem Kumpel geht. Leider zu schnell vorbei, es ist schon fünf, jetzt muss es schnell gehen – Kaffee und Zigarette, vielleicht auch gleich drei? Verdammt, schon 5.15 Uhr – schnell geh ich meinen Sohn wecken. Schnell ist heute relativ, aus meinen sanften Weckversuchen wird schnell ein sanftes „Brüllen“ und ich lotse ihn ins Badezimmer. „Ma Hildegard, das ist selbst gemachter Stress – warum müsst ihr auch jeden Tag baden, er ist jetzt doch wirklich alt genug?“ Wie oft ich mich dafür schon gerechtfertigt habe, obwohl ich mich noch nicht mal getraut hätte, mich negativ darüber zu äußern? Wir machen das seit Jahren, weil es einfach aus unserer Geschichte heraus, ein für Olaf (wahrscheinlich auch inzwischen für mich) unendlich wichtiges Ritual ist, eine Gewohnheit, die ihm Sicherheit für den Tag gibt, eine Kleinigkeit, die sich täglich wiederholt. Wie es dazu kam? Ein andermal…
In der Wanne wird der Tagesablauft geklärt, über doofe oder schöne Träume geredet und vor allem ganz viel gesungen – selbstgereimte Alltagslieder, die meiner Kreativität und wünschenswerten, aber leider fehlenden, Singkunst Ausdruck verleihen sollen. „Mama, aber echt, du bist schon peinlich“ – während er das Lachen nicht mehr unterdrücken kann.
05.35 Uhr spätestens raus, Olaf braucht noch seine Aufwach- und Katzenkuschelzeit auf der Couch, während ich mich versuche auf Alltagstauglichkeit zu richten – wenn ich Glück habe, kann ich sogar unsere Kleidung ruck zuck direkt aus dem Kasten ziehen, wenn ich Pech habe, liegt sie noch ungebügelt im Wäschekorb. Wie es dazu nur kommen kann…ein anderes Mal…
Weiter geht’s mit Essen/Jause für die Schule fertig machen, weil er lieber „noch“ Mittagessen von daheim mitnehmen möchte. Ja ich weiß „Hildegard, du verwöhnst ihn zu sehr, er kann doch auch in der Schule essen…“ Natürlich weiß ich das, theoretisch bin ich geistig auch gar nicht so minderbemittelt, und dennoch läuft entsprechend unserer Lebensumstände vieles anders. Warum? Ganz einfach, es gibt nur diese eine Kindheit für ihn – und nur diese eine, SEINE Kindheit für mich.
Inzwischen ist auch Olaf munter und beglückt mich mit fröhlichem Ariengesang. Zum Glück leben wir so abseits. „Olaf, geht’s auch mal etwas leiser?“ „Nein, warum? Hast du schon wieder deine Tage?“ Okay, Thema geklärt, ich fange an zu saugen, das hilft beim Denken – und unterdrückt effektiv Kinderlärm. Küche fertig aufräumen, meinem Wonneproppen zum zehnten Mal sagen er soll die Zähne putzen und sich anziehen. Zwischendurch über Freundschaften und die neue Schule diskutieren: „Olaf, entspann dich, das war jetzt die erste Gymnasium-Woche – da fallen noch keine Freunde vom Himmel und die Noten fürs Semesterzeugnis stehen auch noch nicht, also alles gut… Und nein, ich werde mich heute beim Elternabend nicht peinlich aufführen, ich werde mich nicht wieder selbst zu lustig finden, und das Singen werde ich unterlassen“. Gut, wir können starten – ab ins Auto, der Bus fährt gleich, und ich muss zur Arbeit. Wieder spät dran – mein Sohn hat Maske und Handy vergessen, also zurück, innerlich schon wieder auf Explosionsniveau bei 360 Grad. Hildegard, beruhige dich, jetzt nicht…denk an unsere Abmachung: niemals im Streit zur Schule oder sonst wo hin. Ich wünsche ihm einen schönen Tag, sag ihm wie lieb ich ihn hab. Und wie so oft denk ich mir: „Mann, was für ein Glück habe ich mich meinem Kind…trotz „10-jährigem Jubiläum nur wir zwei“, trotz der Tatsache dass er keine richtige Oma und keinen Opa hat und ich seit 5 Jahren Vollzeit arbeiten muss – ist er ein charmantes „Rotznäschen“, ist frech, lustig, überaus diskussionsfreudig und testet seine Grenzen. Dennoch verfügt er über ein Quantum männertauglichem Feingefühl, ist höflich, rücksichtsvoll und sehr selbstständig (wir sprechen hier nicht von der Fähigkeit der akustischen Wahrnehmung meiner Worte, Dreckwäsche ins Bad zu bringen oder verwendete Haushaltsmaterialien wieder an den Ursprungsplatz zu bringen).
Bei der Arbeit angekommen, erst mal PC starten, Kaffee rauslassen und los geht’s. Ich arbeite glücklicherweise in einem nicht von Corona beeinträchtigten Betrieb, somit habe ich, sofern kein Lockdown, eine Sorge weniger, bin gut „abgelenkt“ und beschäftigt. Und das Beste: Alle kennen mich nur „oberflächlich“ – das ist geistige Entspannung! Aber was es damit auf sich hat….das passt hier nicht mehr rein. Seit Schulanfang sehe ich Olaf nicht mehr in der Mittagspause, das ist neu für uns beide und wir mussten alles neu organisieren, damit er und seine Bedürfnisse nicht zu kurz kommen. Ich nutze eine kurze Mittagspause, um schnell das nötige für Schule und Zuhause einzukaufen, bringe es Heim, dreh schon wieder fast durch – warum müssen diese Menschen 47 km/h fahren, wenn theoretisch 55 km/h erlaubt sind – Euer Ernst – ich habe keine Zeit für so was…
Um halb vier meldet sich Olaf, total fertig, der Tag lief nicht gut, sein Hals tut weh und gemäß männlichen Hormonen ist er kurz vor einem komatösen Zusammenbruch. Ein Anruf meines Holzlieferanten unterbricht meine Mama-Sorgen – ich bekomme meine 16 Meter Stückholz schon dieses Wochenende – „Hildegard, du musst doch einfach nur Freunde und Familie fragen wenn du Hilfe brauchst“, spricht es in mir….aber auch zu diesem Thema: ein anderes mal. Egal, hilft nichts, keine Zeit jetzt für Selbstmitleid. Ich schleich mich schnell in den Keller, um meinem Sohn telefonisch zu erklären, dass alles wieder gut wird, ich ihn verstehe und lieb hab, er an den Halsschmerzen nicht sterben wird, und mir abends nach dem Elternabend alles in Ruhe erzählen kann. Ach Mann, eigentlich wäre ich jetzt schon gerne kurz bei ihm damit er abladen und ich ihn drücken und besingen kann. Doch ich/wir brauchen den Job und auch die Überstunden. Heute schon um 17.00 Uhr Feierabend – schnell raus – Elternabend: Zum Glück mit Maske, sie lässt die mir plötzlich ins Gesicht geschriebene Überforderung nach Außen nicht ansehen – was die alles erwarten? Und was da alles auf uns zukommt? So viel Informationen? So viel Neues? So viele Menschen? So viele „großartige und organisierte“ Mamas, die an alles denken? Nicht nur der speziell ausgesuchte Exklusiv-Sport meines Sohnes kostet Geld, diese Schule auch noch? Und das alles dauert auch noch so lange?
Sich so viele Gedanken über ALLES zu machen? Das ist meine geheime Superkraft – oder vielleicht auch mein kleiner, allgegenwärtiger, innerer Monk….
Puuh, erledigt, schnell raus – tut mir leid, nein ich kann nicht mehr auf ein Getränk mit, ich muss heim – 20.15 angekommen und erst mal ganz viel zuhören während ich das Abendessen mache – zum Glück muss er noch nicht wirklich lernen, kommt es beruhigend über mich. Ich versuche meine innerliche Unruhe über noch zu erledigende Dinge zu unterdrücken, ihn nicht dauernd zu kritisieren (ich bin diese eine Mama, die erst mal die „Fehler“ beim eigenen Kind „sucht“) sondern einfach zuzuhören. Aber das Reden tat gut, müde geht er mehr als 1 Stunde nach gewohnter Zeit ins Bett (Oh jaaaa, ich weiß was mir am nächsten Tag für eine Laune blüht).
Jetzt bin ich wieder an der Reihe, ich muss noch den durch Olaf „wiederbelebten“ Haushalt schmeißen, bügeln wollte ich auch noch, für morgen wollte ich noch einen Teil vorkochen, weil er mittags nach mir heimkommt, er Nachmittags Hausaufgaben-Tag hat und der Abend mit nicht verstandenen Übungen drauf geht. Die ignorierten WhatsApp Nachrichten sollten noch beantwortet werden, meine Mama (ja das wäre die Oma von Olaf, ist aber eine andere Geschichte) wartet auf den Rückruf. Morgen kommt mein Versicherer und ich wollte noch alles auf „He Leute, ich habe alles im Griff-Stand“ bringen.
„Ich hab zwar keine Lösung, aber ich bewundere das Problem…“