Nicht nur Kindererziehung
„Ich bin auch Alleinerziehend“, sagte meine Freundin neben mir. Wir hatten es mal wieder geschafft, letzten Samstag auf einen Kaffee im Sito. Sie jammerte gerade noch von den liegengebliebenen Hausaufgaben ihrer faulen Tochter und den vielen Terminen bei der Logopädin – für das Sprachdefizit des Herrn Sohnes. Das Desinteresse ihres Mannes, der ihre Care-Arbeit nicht genug wertschätzt, setzt dem ganzen die Haube auf. Ja, ich weiß. Das ist alles ganz schön viel. Sie fühlt sich allein-erziehend und ist es auch oft. Aber Alleinerziehend? Nein. Das ist sie nicht.
Ganz schön viel
Sie will alles perfekt machen. Meine Freundin. Haus sauber, Rasen gemäht, Brot selbst gebacken, Kinderbrei aus Bio-Gemüse und dann noch die Dekoration: Die muss zur Saison passen. In Pastellfarben. Eh klar. Daneben noch pädagogisch wertvoll erziehen. Das heißt zuhören und aushalten, Gefühle meistern, Ängste begleiten und stundenlang gemeinsame Spielzeit. Nicht zu vergessen die Schlafbegleitung. Hab ich schon erwähnt, dass sie Kleidergröße 38 trägt, Montagabends zum Yoga-Kurs geht und es schafft sich die Nägel regelmäßig zu lackieren? Zurück ins Café Sito: Mich packte der Neid. Oder war es die Wut? Ich habe sie echt gern. Und ich weiß auch, dass die Probleme, die dir am nächsten sind, die schlimmsten sind. Und ich weiß auch, dass im Moment viel los ist bei meiner Freundin. Aber nein, meine Liebe. Du bist nicht alleinerziehend.
Kein Backup. Kein Team.
Ich sagte ihr, dass ich auch eine perfekte Mama sein will. Also ich den Druck kenne, den Mama’s heutzutage aushalten müssen/wollen/können. Ich übe mich auch täglich im Spagat zwischen ‚Pädagogisch wertvoll erziehen‘ und ‚Makelloser Haushaltsführung‘. Manchmal gelingt es, meistens nicht. Ich habe gelernt, nachsichtiger zu sein. Denn mein wahrer Feind ist woanders. Es ist der mentale und finanzielle Druck keinen Plan B zu haben. Vielleicht bei mir als Selbständige noch spezieller. Denn sind die Kinder krank, dann kann ich nicht arbeiten. Kann ich nicht arbeiten, verdiene ich kein Geld. Verdiene ich kein Geld, kann ich die Wohnungsraten nicht bezahlen. Kann ich die nicht bezahlen, verlieren wir unser zu Hause. Selbständig heißt: Kein regelmäßiges Einkommen, dass gemütlich am 1. des Monats eintrudelt, egal ob krank oder im Urlaub.
Der mentale Druck steht dem finanziellen in nichts nach: Ich bin oft hilflos. Wenn ich mit Kind 1 mitten in der Nacht ins Krankenhaus fahren muss, muss ich Kind 2 wecken und mitnehmen. Wenn beide gleichzeitig Magen-Darm-Grippe haben und sie Trost brauchen, während ich einfach nur unter die Dusche will, um das Erbrochene abzuwaschen. Wenn ich Wackelzahnpubertät, Trotzalter und die Papa-Wochenenden friedlich meistere, ohne das jemand merkt, dass ich mich jeden Abend in den Schlaf weine, weil ich nicht mehr kann.
Sag das nie wieder
Ich sagte ihr, dass mich das trifft. Sie sei nicht alleinerziehend. Wenn es hart auf hart kommt, dann sei er da. Ihr Mann. Der Vater der Kinder. Dann kann sie mal länger als drei Minuten duschen. Dann kann sie ihre Nägel nach Feierabend lackieren, während sie ihm erzählt, wie ihr Tag war. Dann kann sie ihn um Rat fragen, ob eine Lehre nicht doch Sinn macht oder ob eine private Logopädin wegen der hohen Kosten auch in Frage kommt. Dann kann sie ihm den Rücken frei halten, so dass er Geld verdienen kann, damit sie die monatlichen Kosten decken können.
Ich erzählte ihr von den vielen Geschichten: Alleinerziehende, die ohne Hilfe von Oma und Opa Beruf, Kinder und Haushalt auf die Reihe kriegen. Alleinerziehende, die auf einen 100% Job angewiesen sind, weil der andere Elternteil seine Alimente nicht bezahlt. Alleinerziehende, die mühselig die Sommerbetreuung organisieren, weil sie selbst nur zwei Wochen Urlaub haben. Alleinerziehende, die Stromnachzahlungen nicht bezahlen können, weil sie eh schon jeden Monat am Minimum leben. Alleinerziehende, die ihren Kinder erklären müssen, warum der andere Elternteil kein Interesse zeigt. Alleinerziehende, die kranke Kinder verstellen müssen, weil sie keinen Pflegeurlaub mehr haben. Ich rede mich in Rage.
Richtig ausgekotzt
Meine ganze Empörung liegt zwischen uns auf dem Tisch. Ich stocke. Sie sieht mich erschrocken an. Mir tut es leid. Ich murmele was von, das ist echt viel. Eine Träne kullert mir die Wange runter. Sie steht auf und wir nehmen uns in den Arm. Mann/Frau neigt dazu, die eigenen Probleme groß zu machen. Das ist nur menschlich. Es tut darum gut, wenn man sich mal wieder gerade rückt. Die Beine auf den Boden stellt und merkt, es gibt auch noch andere. Als ich mich von ihr verabschiede, sah sie ihre Probleme wieder kleiner und ich hatte mich ausgekotzt. Wir wissen nun beide, schlimmer geht immer. Ich weiß, dass du weißt, wovon ich rede. Du kennst den mentalen und finanziellen Druck. Viele erziehen in Partnerschaften ihre Kinder alleine – dafür kann es viele Gründe geben – aber den Status Alleinerziehend auf die Erziehung zu beschränken, wird dem nicht gerecht, was wir tagtäglich leisten. Denn ein Leben ohne Backup ist ein Leben am Limit. Nicht wahr, liebe:r Alltagsheld:in?
Weil wir Alleinerziehenden alles schaffen.
Deine Sandra