Die Frage nach dem Warum
Ich bin jetzt seit eineinhalb Jahren getrennt – also nicht mehr ganz frisch alleinerziehend. Eine schwere Zeit: Umorientieren, Kinder begleiten, Liebeskummer verdauen, neues zu Hause finden. Themen, die persönlich fordernd sind und unglaublich viel Kraft kosten. Das daneben der ganz normale Alltag laufen muss, ist eh klar. Ganz zu schweigen vom Geld verdienen, denn einer muss diese Eskapade ja bezahlen. Oder?
Immer diese Wertung
Und ich meine wirklich eine Eskapade. Denn so fühlt es sich an, wenn ich auf Menschen treffe, die mir nicht ganz so nahe stehen. Die ich nur alle Zeiten mal treffe, wie Schulfreunde, ehemalige Nachbarn oder Bekannte von Irgendwem. Diese kurzen kleinen Talks mag ich grundsätzlich ganz gerne: Ein freundliches Grüßen, ein Wie-geht-es-dir und Weißt-du-noch. Und no-na: Es folgt der Part über den aktuellen Lebensstatus.
Die Trennung kommt zu sprechen. Unabhängig davon, ob sie den Kindsvater kennen oder nicht, antworte ich inzwischen recht professionell darauf. Man könnte auch sagen emotionslos. Ich lenke das Gespräch sehr schnell um auf meine zwei Minimenschen, die mich unglaublich stolz machen. Seit ich so ein Profi bin in der Beantwortung der Frage „Wie geht es dir?“, gerate ich auch nicht mehr so oft in die Patrouille der Erklärungsnot.
Aber dann passiert es doch
Ich stehe bei Smyth Toys vor dem Regal und versuche mich auf das Angebot von Lego Friends zu konzentrieren. Diese Auswahl macht das Leben echt nicht einfacher. Meine zwei Kids haben Geburtstag. Dieses Wochenende schon. Ich bin spät dran und stehe nun vor einem Regal, welches mich komplett überfordert. Versunken in meinen Gehirnwindungen merke ich nicht, wie jemand neben mir zum Stehen kommt. Erst als
er grüßt.
Es ist ein Arbeitskollege vom Kindsvater. Ich grüße zurück und freue mich ehrlich, ihn zu sehen. Die verschlungenen Kanäle in meinem Kopf werfen haufenweise schöne Erinnerungen aus, in denen wir gemeinsam rodeln waren oder den Pfänder bestiegen haben. Er fragt mich, wie es mir geht. Professionell antworte ich: „Gut. Es geht mir und uns gut. Wir sind nach der Trennung endlich zur Ruhe gekommen und wohnen nun in einer schönen Wohnung hier in der Stadt.“ Ich füge noch „Eine Gartenwohnung. Sogar
mit ein wenig Aussicht.“ hinzu.
Die subtile Bemerkung zwischen einem passiv-aggressiven Lächeln und einer unausgesprochenen Schuldzuweisung lautet „Die war auf’m Berg ja auch nicht so schlecht. Also ich wäre da ja nicht ausgezogen.“
Einmal überfahren bitte
Knack. Platsch. Peng. Das war mal passiv-aggressiv auf höchstem Niveau. Nein. Ich bin nicht ausgezogen. Ich wurde gegangen. Nein. Ich erzähle nicht, was er alles Böses gemacht hat und stelle mich zu den Guten. Nein. Ich werde meine Geschichte auch nicht zwischen Lego-Polizeistation und Schleich-Pferdestall ausbreiten. Nein. Es war keine Eskapade von mir. Soll er doch meinen Blog lesen.
Diese Bewertungen sind echt zum Kotzen. In diesem Moment merke ich, wie der Bekannte mir fremd wird. Ich weiß nicht, darf ich was sagen, oder nicht. Was weiß er und was nicht. Wie ist seine Sicht auf die Trennung. Das macht mich unsicher. Also lass ich es im Raum stehen. Verabschiede mich höflich, murmle was von Barbie und verschwinde in den Gängen des Smyth Toys.
Probieren wir es anders
Hat schon mal jemand überlegt, die Frage in die andere Richtung zu stellen? Nämlich: Was muss passiert sein, dass sie aus dem eben erst neu gebauten Haus auszieht? Was muss passiert sein, dass sie den Mann nach zehn Jahren verlässt? Was muss passiert sein, dass sie den Kindern eine Trennung zumutet?
Und merkst du, wie sich die Antwort von selber formt? Sie bekommt sofort ein anderes Gewicht und geht weg vom Bewertenden zum Wertschätzenden. Plötzlich ist Raum für Empathie, für Mitgefühl und für einen Blick hinter die Kulissen. Lasst uns für mehr Toleranz und Mitgefühl stehen. Lasst uns lernen, Fakten zu hinterfragen und nicht gleich zu bewerten. Lasst uns nicht so werden, wie die, die uns bewerten. Lasst uns die Frage anders stellen. Dabei?
Weil wir Alleinerziehenden alles schaffen.
Deine Sandra