Ein Für-immer-zu-Hause

Loslassen heißt, zu wissen, dass es nie mehr so kommt, wie es mal war. Loslassen heißt, zu vertrauen, dass das Neue gut werden kann. Loslassen heißt, mutig zu sein und auf seinen Bauch zu hören. Ich habe eine Entscheidung getroffen und lasse los: Ein Umzug in ein neues zu Hause. Ein zu Hause für mich und meine zwei Minimenschen.

Das kann ich alleine
Es macht ein leises Plopp, als es auf den Boden kracht und zerbricht. Geradezu sanft geht es kaputt. Ich bin jetzt eineinhalb Jahren frisch alleinerziehend. Damals bin ich mit meinen zwei Kindern in mein Kinderzimmer zurück. Mein Elternhaus ist etwas in die Jahre gekommen, aber es hat mich aufgefangen. Liebevoll in seinen Mauern gewogen, getröstet und zu mir selber finden lassen. Nun bin ich ihm zu pubertär geworden. Mein Ruf nach Modernisierung war ihm wohl zu aufständisch. Jetzt spuckt es mich aus. In die große weite Welt.

Zum Glück ist mir eine bezahlbare Wohnung über den Weg gelaufen. In meiner Stadt. Mit Zimmer für mich. Mit Zimmer für Prinzessin. Mit Zimmer für Bubi. Groß und doch klein genug. Es putzt sich schnell durch. Also höre ich auf meinen Bauch und lasse los.

Ich schau wieder auf den Boden. Es ist mir die Handseife runter gefallen. Neben den Umzugskarton, in den sie eigentlich hätte sollen. Wie kann so ein blödes Plastikding so danebenfallen und dabei genau an der einen Ecke aufreißen. Ist Plastik nicht Weltmeer-geeignet?

Im Zwiegespräch mit mir
Ich schau zu, wie die Seife langsam das Weite sucht. Über die Terrakotta-Fliesen direkt in die nächstbeste Fuge. Und ich beginne zu weinen. Zuerst finden nur ein paar Tränen den Weg nach draußen, dann werden es mehr und immer mehr. Ich merke, da bricht was auf und lasse los. Richtig heulen. Richtig laut. Richtig lange.

Ich weine um meinen Traum von einer großen Familie am Weihnachtsabend. Ich weine um meinen Traum vom Einfamilienhaus mit Garten. Ich weine um einen Mann, den ich zehn Jahre geliebt habe. Ich weine um mich, weil ich das alles nicht halten konnte.

„Warum?“ frage ich den Seifenrest „Warum hast du nicht für uns gekämpft? Wolltest du das alles nicht? Hast du mich jemals geliebt? Wieso lässt du mich alleine sitzen und wieso muss ich das alles durchmachen?“ Es fällt mir ein, wie ich für das neue Haus diesen Seifenspender gekauft habe. Farblich passend zu Fliesen und Spiegel. Ich wollte es perfekt haben. Der Seifenrest antwortet nicht. Ich heule ihn weiter an: „Das kannst du mir nicht antun. Sag mir bitte warum? Was habe ich dir getan? Du kannst doch nicht zwei Kinder mit mir wollen, mit mir ein Haus bauen und dann einfach den Kopf
in den Sand stecken. Das macht Mann doch nicht. Das muss Mann sich doch vorher überlegen.“ Die Seife gibt sich weiter der Fuge hin. Langsam und gemächlich.

Zurück zum Start
Ich stelle mir vor, dass er und meine verlorenen Träume eine Million Tränen wert sind. Heute habe ich weitere 10.000 geweint und bin bei Nummer 983.217 angekommen. Zielgerade. Ich beruhige mich langsam. Ich schniefe vor mich hin und die Erwachsene kehrt zurück. Loslassen kostet zwar weniger Kraft als Festhalten und doch ist es schwieriger. Ich raffe mich auf Richtung Küche. Es wird Zeit für eine Rettungsaktion. Die Seife muss aus den Fugen. Die Tränen von meiner Backe. Wo ist zwischen den ganzen Türmen von Kartons die Küchenrolle?

Ich höre meine Freundin, die sagt: „Ich weiß, du ziehst das dritte mal um in drei Jahren. Aber jetzt ziehst du in dein Für-immer-zu-Hause.“ Ich höre meinen Therapeuten, der sagt „Sag deiner inneren Idealistin, dass du verstehst, das enttäuschte Träume weh tun.“ Ich höre meine Mama sagen: „Schließe Frieden mit deiner Entscheidung. Du wärst kaputt gegangen, wärst du geblieben. Ohne Liebe leben macht leblos.“ Ja, sie haben Recht. Ich bin nicht gegangen, weil er die Zahnpasta Tube offen liegen gelassen hat.

Ziehe nicht über los
Es ruckelt immer kräftig, wenn das Leben in den nächsten Gang schaltet. Keine Küchenrolle gefunden. Die habe ich schon eingepackt. Mit Klopapier fange ich den letzten Rest Seife ein und streife ihn aus der Fuge. Die Fuge strahlt mich an, als würde sie sagen: „Alles gut, Sandra. Es ist nur Loslassen.“

Loslassen von Träumen. Loslassen von Liebe. Loslassen von Heimat. Das ist das Thema von uns Alleinerziehenden. Aber es heißt, erst wenn man loslässt, kann Neues fließen. Schauen wir mal. Ich halte dich hier auf dem Blog auf dem Laufenden. Versprochen. Aber sag du mir: Wie ist es bei dir? Noch am Loslassen oder schon am Losstarten?

Weil wir Alleinerziehenden alles schaffen.
Deine Sandra

Teile den Beitrag mit deinen Freunden.