Du bist stark

„Ich ziehe den Hut vor dir.“ oder „Du schaffst das alles so souverän.“ oder „Unglaublich, dass du das alleine hin kriegst.“ Sätze, die ich immer mal wieder höre. Ich bin dann meist irritiert, weil ich das so nicht fühle. Ich bin nicht stark. Ich habe keine andere Wahl. Ich muss ja funktionieren. Für die Kinder und für mich. Denn ich habe eine Aufgabe und vielleicht ist es die, die mich stark macht.

Vielleicht ist es genau das
So stark fühle ich mich nicht. Meistens jedenfalls. Auch ich habe Nachtgespenster, die mir den Schlaf rauben. Auch ich habe Panikattacken, wenn alles zu viel ist. Auch ich heule manchmal Waschbecken mit Liebeskummer voll. Also nein. Ich fühle mich nicht stark. Aber ich weiß, dass es so scheint. Weil ich ganz oft am nächsten Tag die Pobacken zusammen kneife, die Krone richte und weitergehe. Weil ich bin, wie ich bin und weil der Mensch hofft, weil er liebt, weil er vergibt.

Meine Aufgabe
Ich kenne inzwischen meine Bestimmung: Meine Kinder sollen beziehungsfähig sein. Mein Leben ist, wie es nun mal ist. Das kann ich nicht mehr ändern. Das mit dem Vater der Kinder hat nicht geklappt und wenn ich ganz ehrlich bin, ist es auch gut so. Nur so habe ich überlebt, um zu leben. Ich nehme mich nun ernst. Meine Bedürfnisse. Meine Ängste. Und meine Wünsche: Und ich wünsche mir für meine Kinder eine Liebe, die bleibt. Das ist mein Ziel und daraus resultiert meine Aufgabe. Die verfolge ich akribisch. Die nehme ich ernst.

Und wie jetzt?
Um die Aufgabe zu erfüllen muss ich Vorbild sein. Ich muss Haltung wahren. Das sind zwei essentielle Dinge einer gesunden Erziehung. Okay, Humor schadet auch nie. Also sagen wir es gibt drei: Vorbild, Haltung, Humor. Ich will, dass meine Kinder lernen selbst zu entscheiden. Ich will, dass sie lernen, Enttäuschungen zu verkraften. Ich will, dass sie lernen zu sagen, was sie denken. Ich will, dass sie Probleme lösen können. Ich will, dass sie ihre Gefühle zulassen und danach handeln. Ich will, dass sie Werte haben. Und ich will, dass sie für das Einstehen, woran sie glauben.

Um das zu erreichen, muss ich als Mama zurück treten. Mit meinem Bedürfnis, die Kinder zu schützen. Mit meinem Bedürfnis, die Kinder zu retten. Mit meinem Bedürfnis, die Kinder vor allem zu bewahren. Ich muss mich zurücknehmen, sie machen lassen, zuschauen und dann Auffangen und Trösten. Um sie dann wieder anzuschubsen, zu vertrauen und sie gehen lassen. Nur so können sie lernen. Nur so können sie an ihren Fehlern wachsen.

Den Kreislauf brechen
Seit zwei Jahren engagiere ich mich für Alleinerziehende. Du weißt das. Ich organisiere Treffen. Ich erzähle meine Geschichte. Ich gebe Wissen weiter. Vor allem aber höre ich zu. Und da kommt soviel von den Alleinerziehenden: Enttäuschung, weil der Kindesvater kurzfristig absagt. Trauer, weil die Ex-Lebenspartnerin nun mit dem Kind und dem Neuen einen auf heile Familie macht. Ärger, weil der Ex-Mann die Windeln nicht alle zwei Stunden wechselt. Wut, weil du die gesamte Care-Arbeit hast, während er nur der Spaß-Daddy ist.

Und ja, ich kenne jedes einzelne Gefühl. Aber ist es nicht dein persönliches Gefühl? Oder ist es das Gefühl des Kindes? Ich wäge darum immer ab: Geht es um Leib und Leben? Oder geht es um mich? Meistens geht es um mich und darum habe ich beschlossen, mich nicht zu ärgern, wenn sie zwei Tage keine Zähne putzen. Mich nicht für ihn zu entschuldigen, wenn er sie mal wieder sitzen lässt. Und mich nicht vor die Kinder zu stellen, wenn sie dem Papa sagen, dass sie lieber zum Kindergeburtstag gehen als zu ihm.

Du kannst nicht die Welt retten
Die Verantwortung lass ich denen schön selber. Und den Ärger auch. Nicht weil ich es ihnen gönne, sondern weil sie nur so in Beziehung kommen können und dazu gehört Enttäuschung, Wut und Trauer nun mal eben. Die Verantwortung bleibt bei dem, der diese Gefühle auslöst. Das ist nicht mein Bier. Nicht mein Nachtgespenst.

Meinen Gespenstern sage ich: Es ist meine Aufgabe, die Kinder aufzufangen, zu trösten und zu stärken. Ich möchte sie ins Leben begleiten, damit sie lebensfähig und vor allem beziehungsfähig werden. Sie sollen lernen Enttäuschungen zu verarbeiten, Auseinandersetzungen auszuhalten, Konflikte zu lösen – genauso übrigens wie Fahrradfahren. Das muss Kind auch üben. Und es fällt hin. Das braucht es aber, damit es mit dem Fahrradfahren irgendwann klappt. Und dafür muss geübt werden. Bei Gefühlen und Beziehungen ist es ähnlich. Sie schauen bei mir, wie ich meine Enttäuschung verarbeite, wie ich Auseinandersetzungen aushalte und wie ich Konflikte löse. Denn ich bin ihr Vorbild. Und Kinder machen nicht das, was wir sagen, sondern das was wir tun.

Vorbild sein ist nicht einfach. Ich weiß. Aber es ist wichtig. Es ist wichtig für deine Kinder. Nimm dich zurück. Überleg dir, was du dir für dein Kind wünscht und dann mach das zu deiner Aufgabe. Breche den Kreislauf und lerne ihnen die sozialen Fähigkeiten, die sie später brauchen, um eine gesunde Beziehung zu führen. Dabei darfst du Fehler machen. Keiner ist perfekt. Aber bleib in Verbindung, sei nachsichtig mit dir und großmütig mit deiner Vergangenheit. Mach es für deine Kinder. Mach es zu deiner Aufgabe. Das ist mein Geheimnis. Ich bin nicht stark. Ich nehme nur meine Aufgabe sehr ernst.

Weil wir Alleinerziehenden alles schaffen.
Deine Sandra

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