Einfach mal ausflippen
Meine Kinder sind gerade im Urlaub bei ihrem Papa. Das ist gut so. Ich finde, auch er darf Zeit mit ihnen verbringen und auch den Kindern gehört die Zeit mit dem Papa. In den fünf Tagen vermisse ich die Zwei ganz wahnsinnig, aber ich weiß, es ist für sie wichtig. Ich und mein Gefühl kommen da an zweiter Stelle. Es geht darum, dass es den Kindern gut geht. Aber manchmal wünsche ich mir nicht vernünftig zu sein. Manchmal wünsche ich mir, einfach mal auszuflippen.
Ein paar Tage frei
Ja, so sehe ich das mittlerweile. Und ich kann das auch ganz gut. Ein Jahr nach der Trennung bin ich nicht mehr frisch alleinerziehend. Ich habe mich an die Vorteile gewöhnt. Viel mehr qualitative Kinderzeit, weil ich die Dinge erledige, wenn sie nicht da sind. Viel mehr qualitative Mama, weil ich mehr Energie habe und besser auf die Kinder eingehen kann. Viel mehr qualitative Zeit für Selbstfürsorge, weil auch ich ein Mensch bin. Und vor allem: Nur noch alle zwei Wochen den Vater der Kinder an der Backe. Das reicht nämlich in meinem Fall vollkommen.
Und immer wieder trennen
Meine Lieblingskinder gehen also zu Papa in den Urlaub. Sie freuen sich und springen ihm mit roten Backen und gepacktem Koffer entgegen. Ich habe sie vorbereitet und sie wissen, dass sie nun vier Nächte bei Papa schlafen dürfen. Ich mag es, sie so fröhlich und aufgedreht zu sehen. Die Verabschiedung ist kurz, denn die Kleinen können es kaum erwarten, mit ihm davon zu düsen. Das passt schon. Sie freuen sich ja auch wieder heim zu kommen und da haben sie auch keine Zeit, sich von ihm zu verabschieden. Also unentschieden.
Kein Grund zum Ausflippen
Und dann kommt gleich am ersten Tag, kurz nach Mittag der erste Anruf. Eines meiner Lieblinge weint ins Telefon. Ich habe alle Mühe zu hören, welches Kind da weint und vor allem, warum es weint. Dann höre ich den anderen Liebling. Der schreit ebenfalls. „Uih. Was ist denn da los.“, denke ich. Es dauert ganz schön viele Minuten bis ich rauskriege, dass sie beide nicht mit dem Papa zum Spielplatz wollen. Sie wollen im Haus bleiben und Murmelbahn spielen. Ich schaffe es, ihn ans Telefon zu bekommen und frage ihn, was los ist und wie ich ihm helfen kann. Er blafft mich an. Das sei ein Theater und er geht mit den Kindern jetzt raus, ob sie wollen oder nicht. Und dann mault er noch, dass er meine Hilfe nicht braucht. Okay. Verstanden.
Etwas irritiert, aber wissend, dass die Kinder, wenn sie was wollen oder eben auch nicht, immer ihre Eltern ausspielen – egal ob zusammen oder getrennt – gehe ich weiter meiner Wege. Ich besorge also Ostergeschenke und kaufe für den Brunch ein. Irgendwie gönne ich es ihm ja, dass er sich mit den Kindern jetzt auch emotional auseinander setzen muss.
Aber jetzt doch ausflippen
Als ich abends mit meinem frisch gekochten Spargel vor dem Fernseher sitze und gerade meine Amazon-Serie einschalten will, klingelt es wieder. Beide Kinder wieder schreiend am Telefon und ich – nur auf meinen einen Sinn des Hörens beschränkt – versuche rauszufinden, was eigentlich los ist. Mein Mädchen hat zu viel Energie und will schreien. Sie braucht ein Gegenüber, dass ihr hilft, sich zu beruhigen. Im Hintergrund höre ich meinen Bubi, der weint, weil er nicht beim Papa schlafen will, weil es doch zu Hause bei mir gemütlicher ist. Wieder versuche ich eine Lösung per Telefon anzubieten: Eine Fußmassage. Ist ein guter Trick, um Kinder vor dem Schlafengehen etwas zu beruhigen. Meine Lösung kommt beim Papa nicht gut an. Im Gegenteil. Er schreit mich an. Macht mich klein. Gibt mir die Schuld an dem Theater. Und legt auf.
Hilflos mit zwei Armen und zwei Beinen
So fühle ich mich. Ich kann den Kindern nicht helfen. Ich darf nicht eingreifen. Ich kann nichts tun. Ich weiß schon. Er ist überfordert. Er kommt an seine Grenzen. Solche Situationen verlangen nach Empathie und Liebe. Und das ist meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist es auch, meine Kinder zu beschützen. Ihnen beizustehen. Ich bin fix und fertig. Und nein, ich will nicht „erwachsen“ sein. Ich will nicht „pädagogisch“ richtig handeln. Ich will ausflippen. Und zwar jetzt gleich. Ich will ihn anschreien. Ich will meine Kinder sofort holen. Scheiß auf den besseren Elternteil.
Heute gibt es am Ende keine aufmunternden Worte von mir, kein Happy End und auch keine positive Ansichtsweise. Denn es ist, wie es ist: Ich darf nicht ausflippen. Und das auszuhalten, ist verdammt schwer. Wirklich, verdammt schwer. Du weißt das.
Weil wir Alleinerziehenden alles schaffen.
Deine Sandra