Schatten seiner selbst
Es ist Herbst geworden. Die Natur zeigt sich nochmals von ihrer besten Seite, bevor sich alles ruhig und gediegen in Nebel gehüllt – auf den Winter vorbereitet. Ich bemerke dann meist, dass ich im Zauber der Melancholie mehr über mich und das Leben nachdenke, als in warmen Sommernächten.
Letztens ist mir bei einem Spaziergang durch den Wald aufgefallen, dass ich in der Vergangenheit oft Dinge gemacht und Entscheidungen getroffen habe, hinter welchen ich gar nicht wirklich gestanden bin. Einfach nur, weil es von mir erwartet worden ist. Einfach, weil man das nun eben so macht. Wie ein Schatten meiner selbst, der dem allem zugestimmt hat – so als ob ich in diesen Situationen nicht ich selbst war. Ich habe mich verlobt, obwohl ich noch nicht bereit dazu war. Ich habe geheiratet, obwohl es sich nicht richtig angefühlt hat. Zu meinem heutigen Entsetzen war ich mir dessen damals keineswegs bewusst.
Wie oft antworten wir auf Fragen unserer Kinder mit: „Weil es ebenso ist“. Ohne uns wirklich ernsthaft Gedanken darüber zu machen, was diese Antwort für unsere Kinder und ihre Zukunft bedeutet. Ich weiß, man hat als alleinerziehender Elternteil wirklich schon genug um die Ohren und kann sich oft nicht um jede Erziehungskleinigkeit kümmern. Aber – Sensibilisierung ist wichtig. Ich war ein Kind, dass nie hinterfragt hat. Ich habe alles je nach Erwartung und Vorgabe erledigt, weil ich es nicht anders kannte und es mir so vorgelebt worden ist. Egal ob zuhause oder in der Schule. Selbst später in der Arbeitswelt und in meinen Beziehungen gab es kein Hinterfragen – gab es von meiner Seite her keinen Spielraum für Selbstbestimmung oder kreatives Einbringen. Weil es ebenso ist. Weil man es schon immer so gemacht hat. Verloben – Heiraten – Hausbauen. Nie hat mich etwas davon erfüllt.
Doch nun ist es an der Zeit endlich aufzuwachen. Schon allein deswegen, weil ich nicht will, dass meine Kinder ein, „weil es so ist“ grundlos akzeptieren. Ich frage sie nun öfter mal in solchen Situationen: Wie oder was würdest du denn machen? Hast du eine Idee? Könnte man etwas verbessern oder ändern? Seither haben wir die tollsten Diskussionen und das Gefühl, wir können gemeinsam die Welt verbessern oder verändern.
Ich selbst erkenne nun, wann ich Entscheidungen treffe und wann sich mein alter Schatten in den Vordergrund drängt. Allein schon durch diese Erkenntnis fühle ich mich nach Entscheidungen viel zufriedener und glücklicher als jemals zuvor.
Auf Nebel folgt Sonnenschein. Auf Schatten folgt immer Licht und Zuversicht.
Eure Nicole