Schön, dich wiederzusehen
Vor einigen Jahren – meine zwei waren damals noch ganz klein – hörte ich Dr. Jan Uwe Rogge bei einem Vortrag. Ich glaube, es war im Bildungshaus Batschuns. Er ist Familienberater, Referent und Buchautor. Mit seiner Klarheit und seinem Humor hat er mich nachhaltig begeistert. Mir ist ein Satz aus seinem Vortrag hängen geblieben und diesen einen Satz setze ich seit meiner Trennung bewusst ein.
Das Wochenende bei Papa
Es klingelt an der Tür. Sturm. Ich mache auf und zwei dreckige und lachende Kinder fallen in die bis dahin etwas zu ruhige Wohnung. Sofort geht es los. Sie wollen mir alles erzählen, was sie erlebt haben und das gleichzeitig. Ich gehe in die Hocke und erlebe so auf Augenhöhe ihre ganze Energie. Dank des Me-Time-Wochenendes habe ich genug Kraft, das alles aufzufangen und auszuhalten. In aller Seelenruhe.
Und dann rutscht er mir raus, dieser Satz: „Oh, wie ich euch vermisst habe.“ Und er fühlt sich auch so an. Ich habe sie wirklich vermisst. Es war dann doch irgendwann zu sauber, zu ruhig und zu einsam. Auch wenn ich die Zeit genossen habe, fehlte doch was. Im ersten Jahr als frisch Alleinerziehende hatte ich so meine Mühen damit, jedes zweite Wochenende alleine zu sein. So war mein Leben als Familie nicht geplant. Damit ich an diesen Wochenenden nicht zum Grübeln kam, habe ich mich dauerbeschäftigt. Heute tanke ich meine Reserven auf, kümmere mich um mich und gönn mir was. Es geht mir gut.
Und trotzdem …
Es rutscht mir dieser Satz raus. Der mit dem Vermissen. Und ich merke in dem
Moment direkt, wie er mehr aussagt, als er sollte. Vermissen kann man Dinge, die man nicht hat. Vermissen kann man Dinge, die weg sind. Vermissen kann man Dinge, nach denen man sich sehnt.
Und genau da fällt er mir wieder ein. Dieser Satz von Dr. Jan Uwe Rogge. Er erzählte in seinem Vortrag von Kindern, die nicht gerne in den Kindergarten gehen und dort bleiben wollen. Und dass dieses Verhalten ganz oft von den Eltern sogar unterstützt wird. Sei es durch Sprache oder Gesten. Den genauen Ansatz könnt ihr gerne direkt auf seiner Website nachlesen: www.jan-uwe-rogge.de.
Naja, jedenfalls zeigt er auf, dass viele Eltern ihr(e) Kind(er) im Kindergarten mit dem Satz: „Ich habe dich vermisst“ abholen. Dieser Satz gibt dem Kind aber direkt und unbewusst das Gefühl, dass es was falsch gemacht hat. Weil es hat mit dem Bleiben im Kindergarten ein Vermissen beim Elternteil ausgelöst. Das will das Kind nicht und reagiert darauf: Es will nicht im Kindergarten bleiben, weil es will nicht, dass es vermisst wird und dieses Gefühl bei seinen Eltern auslöst. Spannend. Für mich macht das absolut Sinn.
Die Alternative: Schön, dich wiederzusehen
Und den sag ich jetzt immer, wenn sie nach einem Wochenende bei Papa nach Hause kommen. Denn genauso ist es, es ist schön, meine Kinder wieder zu sehen. Und ja, ich habe sie vermisst. Keine Frage. Aber sie dürfen bei Papa sein. Es geht ihnen gut bei Papa. Sie lieben ihren Papa.
Und ich will ihnen deswegen kein schlechtes Gewissen aufladen, weil Mama alleine war. Kein schlechtes Gewissen, weil die Kinder weg waren. Kein schlechtes Gewissen, weil die Kinder immer bei mir bleiben sollen. Dieser eine Satz nimmt den Kindern ein bisschen vom Loyalitätskonflikt, es Mama und Papa Recht zu machen. Dieser eine Satz heilt, ohne es mit Absicht zu wollen. Dieser eine Satz trägt kein, „du warst weg“ in sich, sondern nur ein „du bist da“.
Einfach und genial
Wie fühlt sich dieser Satz „Es ist schön, dich wiederzusehen“ für dich an? Leicht?
Positiv? Fröhlich? Probier ihn mal aus. Sag ihn dir laut vor. Klingt gut? Dann borg ihn aus, wann immer du ihn brauchst.
Weil wir Alleinerziehenden alles schaffen.
Deine Sandra