Und dann sitzt du da

Seit drei Jahren bin ich alleinerziehend. Drei Jahre, in denen ich so viel erlebt, überlebt und gelernt habe, dass es sich manchmal anfühlt wie ein halbes Leben. Und jetzt? Jetzt stecke ich mitten im nächsten Kapitel. Neues Kennenlernen. Neues Vertrauen. Neue Dynamiken. Der Versuch, eine neue Art von Familie aufzubauen – vorsichtig, Schritt für Schritt, mit Stolperern und viel gutem Willen.

Und trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – gibt es sie noch, diese Tage. Die, an denen mir alles über den Kopf wächst. An denen ich mich frage, warum das alles. Und dann reicht oft ein ganz normaler Dienstag, um mich an meine Grenzen zu bringen.

Wenn die Sehnsucht klopft
Schon am Morgen hing ein unsichtbarer Schleier über allem. Du kennst das. Ich bin mir sicher. Mein Sohn lief zum dritten Mal an der Zahnbürste vorbei, als hätte sie ihn persönlich beleidigt. Meine Tochter stand vorm Schrank und zog das dritte
Sommerkleid über, weil keins „genau richtig“ war. Ich war derweil damit beschäftigt, Frühstück zu machen, Jause zu schnipseln, Sonnencreme zu verteilen, Schultaschen zu packen und daran zu denken, dass heute der letzte Tag der Ausleihfrist für die Bücher ist – und da war doch noch eine Einladung zum Kindergeburtstag? Keine Ahnung. Ich selbst schaffte es wieder mal nur bis zum Haustürspiegel. Ungeschminkt, ungefrühstückt, aber irgendwie bereit. Dachte ich.

Am Schreibtisch dann: Ausnahmezustand. Ob’s am Vollmond lag, kann ich nicht
sagen, aber alle waren nervös: Die Sommerferien stehen vor der Tür. Ich mittendrin, mit dem Kopf noch bei der verschwundenen Lieblingskappe meiner Tochter und dem Gefühl, mein eigenes Leben nur noch aus zweiter Reihe zu beobachten. Am Nachmittag überraschte mich ein Wolkenbruch auf dem Rad – genau in dem Moment, als ich die Kinder abholen wollte. Natürlich ohne Regenschutz. Klatschnass und mit zwei müden Kindern im Schlepptau noch schnell einkaufen. Ich funktioniere. Mehr nicht.

Zuhause angekommen, rannte der Kleine direkt in den Garten. Barfuß, natürlich. Es war inzwischen wieder sonnig, aber der Boden nass. Und dann – ein Schrei. Biene. Fuß. Tränen. Chaos. Und ich? Ich dachte nur: Es läuft. Mal wieder rückwärts.

Und dich dann überrollt
Erst als abends endlich Ruhe einkehrt, als die Kinder schlafen und die Spülmaschine  surrt, sitze ich da und frage mich: Was ist heute eigentlich alles passiert? Ich versuche, den Tag zu rekonstruieren, aber es verschwimmt alles in einem einzigen Strudel aus Aufgaben, Gefühlen und Momenten, die zu schnell an mir vorbeigerauscht sind. Und genau dann schleicht sich die Erschöpfung an. Ganz leise, aber hartnäckig. Und mit ihr die Gedanken.

Die, die ich kenne. Die, die sich immer wieder einschleichen, wenn es ruhig wird. Ich denke an das Leben, das ich mal wollte. An das Bild, das ich in meinem Kopf so lange gemalt habe: Vater, Mutter, Kinder. Ein Einfamilienhaus. Dieses Bild ist längst verblasst. Und trotzdem: Die Sehnsucht bleibt. Sie ist zäh. Sie lässt mich nicht los.

Aber die Sehnsucht bleibt nie allein
Sie bringt Gesellschaft mit: Wut. Wut auf den Kindsvater, weil er gegangen ist. Weil es einfacher ist, das schlechte Gewissen auszuhalten als den Mann zu stehen. Weil ich jetzt allein die Jausenboxen fülle, die Tränen trockne, das Chaos meistere. Gefolgt von der Traurigkeit. Nicht weil ich ihn zurück will, sondern weil ich mir so sehr ein gemeinsames Leben gewünscht habe. Ein Leben in diesem Haus. Mit dem Vater meiner Kinder. Und dann, ganz zuletzt, kommt die bittere Wahrheit: Es hätte so nie funktioniert. Nie. Nicht mit ihm. Nicht so, wie
ich es mir erträumt hatte. Und das trifft mich wie ein Schlag. Schachmatt. Denn auf dem Boden der Tatsachen liegt nun mal kein Glitzer.

Es gibt ein danach
Ich versuche möglichst schnell ins Bett zu kommen. Am besten, bevor die Gedanken anfangen, eine wilde Pyjamaparty zu schmeißen. Ich sag mir: Das ist jetzt mein Leben. Kein zweites in der Hinterhand. Keine Rückgabetaste. Einfach dieses hier – mit vollem Programm und ohne Option.

Und ja, es gibt sie. Diese Tage, an denen ich mich zurücksehne. Nach dem alten Bild im Kopf einer heilen Familie. Und ich stell’s mir einfacher vor – du lebst mit dem Vater deiner Kinder, ihr seid zusammengewachsen, funktioniert irgendwie. Keine Erklärungen, keine neuen Namen, keine Extra-Runden durchs emotionale Minenfeld. Alles klar. Alles eingespielt.

Aber dann denke ich an das Jetzt. An das Unfertige, das Neue. An die Gespräche, die Mut brauchen, und das Miteinander, das man sich erst bauen muss. Und ich glaube: Vielleicht hat genau das auch was. Vielleicht wird’s nicht einfach, aber gut. Vielleicht sogar besser. Wer weiß das schon. Denn das Jetzt ist alles, was ich habe. Und vielleicht – vielleicht wird genau das ja mein Glück. Oder?

Weil wir Alleinerziehenden alles schaffen.
Deine Sandra

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