Weißt du noch Herz?

Wir hatten schon Schmerz. Ich kann mich erinnern, an den ersten Liebeskummer. Auch an die Leere als Papa starb. Oder als wir unsere Sternenkinder ziehen lassen mussten. Wir waren stark. Gemeinsam. Die Narben trugen wir mit Stolz. Aber weißt du noch Herz, dieser eine letzte Schmerz?

Liebes Herz,
wir waren jung. Und da war diese neue eine Liebe. Wir haben mit ihr getanzt und gelacht. Feuriger Samba, Lambada und Cha Cha Cha. Wir spürten uns und wir bewegten uns zum Rhythmus unseres Herzschlages. Echt und frei haben wir jeden Moment inhaliert. Es war, als ob das Feuer durch deine Kammern strömte und es uns nichts anhaben konnte. Wir glühten und unsere Träume mit uns.

Es tut mir leid
Anfangs waren die Flammen groß genug und wir haben die kleinen Verletzungen abgetan. Wir haben sie weggetanzt. Was soll uns schon passieren.

Und doch ist es ein steter Tropfen Wasser, der Feuer löschen kann. Du hast das gemerkt und dich bemerkbar gemacht. Zuerst zaghaft und leise, dann strenger und lauter. Ein Holpern. Ein Pochen. Ein Stechen. Ein Krampf.

Wenn ich ehrlich bin: Ich habe die Schmerzen gespürt. Sie waren schwer auszuhalten. Trotzdem habe ich dich beruhigt. Es ist die Liebe, habe ich geflüstert. Es wird schon wieder, habe ich gesagt. Die Liebe tut weh, habe ich behauptet. Es war wohl der Zeitpunkt, an dem ich dich verlassen habe.

Flammen, die flackern
Aus dem Feuer wurde keine stabile Glut. Das Feuer der Liebe erlosch und die kalte Asche hat dir die Adern verklebt. Dein Schlagen hat den Rhythmus verloren. Das Tanzen wich einem Stolpern. Ich war geblendet von der Hitze und von den Träumen. Dich spüren unmöglich. Wie auch, du hast aufgehört zu schlagen.

Der Krankenwagen fuhr mit Blaulicht vor. Mama hat ihn gerufen, nachdem sie dich gefunden hat. Du lagst in tausend Splitterstücken vor ihr auf dem Boden. Ich daneben. Später hat sie mir erzählt, dass sie den zwei Minis den Fernseher laut aufgedreht hat, damit sie die Sirene des Rettungswagens nicht hören. Sie hat mir erzählt, wieviel Angst sie um uns hatte. Sie hat mir erzählt, dass sie unter Tränen deine Splitter aufgesammelt
hat.

Auch ich kann mich erinnern. An die Hektik im Krankenwagen. Und deinen Schmerz. Doch die Ärzte konnten nichts finden. Wie auch. Du lagst in einer Schatulle. Auf dem Deckel eine Tänzerin in rotem Kleid.

Zusammengeklebt
Ich habe dich wieder aneinander gefügt. Zwei Jahre lang. Die kleinen Narben waren meine Wegweiser. Mühselig habe ich jedes einzelne Stück betrachtet und liebevoll das Gegenstück gesucht. Bis das Puzzle passte. Bis du wieder komplett warst. Du schlägst wieder. Nicht im Rhythmus des feurigen Sambas. Nein. Aber ich spüre dich wieder.

Wenn du schlägst
Nein. Du musst keine Angst mehr haben. Ich werde auf dich Acht geben. Es wird dir nichts mehr passieren. Ich weiß nicht, ob wir jemals wieder Cha Cha Cha tanzen. Ich traue mich nicht mehr so nah ans Feuer. Aber vielleicht ist ein langsamer Wiener Walzer ganz gut für uns. Weniger Feuer. Mehr Beständigkeit. Wie die Narbe, die sich jetzt über die vielen kleinen zieht. Wie die Narbe, die bleibt.

Ich bin stolz auf dich, Herz. Starke Mädchen werden nicht geboren. Starke Mädchen sind die, die überleben.

Bitte achte immer auf dein Herz.

Weil wir Alleinerziehenden alles schaffen.
Deine Sandra

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